Exkursion des Stadtrats
Bei einer Exkursion nach München haben zwölf Stadtratsmitglieder, Erster Bürgermeister Andreas Bratzdrum und Geschäftsleiter Walter Schöberl sich am 24. Juli drei zukunftsweisende Wohngebiete in München angesehen. Im Fokus standen Organisationsformen wie Baugenossenschaften und -gemeinschaften sowie zukunftsfähige Konzepte für Seniorenwohnen, Mobilität, Energieversorgung und Bauen mit Holz.
Der Ausflug, dessen Erkenntnisse für die Planungen zum neuen Tittmoninger Wohnquartier „Am Alten Bahnhof“ genutzt werden sollen, führte in den Prinz-Eugen-Park, zu Domagkpark und Ackermannbogen. Alle drei Wohnsiedlungen sind auf dem Gelände ehemaliger Kasernen entstanden, nutzen also ohne neuen Flächenverbrauch sogenannte Konversionsflächen – ganz wie das geplante Quartier „Am Alten Bahnhof“ auf dem ehemaligen „Brücknergelände“ in Tittmoning. Die Leitung der Tour übernahmen Professor Hebensperger-Hüther und Sibylle Hüther, deren Architekturbüro H2R als Sieger des Städtebaulichen Wettbewerbs mit der Entwicklung des Wohngebiets „Am Alten Bahnhof“ betraut ist, sowie Yvonne Hammes vom Büro raum + zeit, bei dem Projekt zuständig für Landschaftsarchitektur und Stadtplanung.
Das dichte Programm begann im Prinz-Eugen-Park, wo seit 2017 eine Wohnsiedlung mit etwa 1800 Wohnungen für rund 6000 Menschen entsteht. Dort besuchte die Gruppe die Seniorenhausgemeinschaft „ALIA – Anders leben im Alter“ des Bauvereins München-Haidhausen. Zwölf Senioren bewohnen hier gemeinsam ein Gebäude mit individuellen Einzelwohnungen, einem gemeinsamen Wohnzimmer, gemeinschaftlichen Aufenthaltsbereichen in offenen Laubengängen und einer Dachterrasse mit Sommerküche, Bibliothek, Blumen- und Gemüsebeeten. Die Nachbarschaft ist eine bunte Mischung von Generationen, Nationalitäten und sozialen Schichten.
“Dem Prozess des Alterns offen, gut vorbereitet und gemeinsam entgegenzutreten“ sei vor fünfzehn Jahren ihre Motivation gewesen, berichtete einer der Bewohner, der 72-jährige Alfred Bergmiller, jetzt sei man sehr glücklich „in einer Art ungeplantem Mehrgenerationenwohnen“ gelandet. Für ihn und seine Freunde habe sich der wohnungs- und sozialpolitisch höchst sinnvolle Umzug aus großen, zentralen Altbauwohnungen in angemessen kleinere, altersgerecht barrierefreie Wohnungen als absoluter Glücksfall erwiesen.
Fachkundige Beratung etwa durch die Kommune sei aber unbedingt nötig, damit das Bauen in einer Genossenschaft gelinge. „Wir sind fünf Paare und zwei Einzelpersonen, die sich schon jahrzehntelang kennen und gemeinsam in der Stadtteilarbeit engagiert haben, das erleichtert natürlich vieles“, verriet Bergmiller.
Ökologische Mustersiedlung und Mobilitätskonzept
Beim anschließenden Spaziergang durch die ausschließlich in Holzbauweise errichteten ökologische Mustersiedlung, die nach Angaben der Landeshauptstadt „neue Maßstäbe im Bereich Klimaschutz und nachhaltige Stadtentwicklung setzen soll“, waren neben den vielfältigen Holzbauten vom Flachbau übers Reihenhaus bis hin zu siebengeschossigen Gebäuden, die unterm Dach auch „Appartements“ für Vögel und Fledermäuse enthalten, besonders die Außenanlagen mit beeindruckenden Wildblumenwiesen, altem Baumbestand und in die Grünanlagen einbezogenen Baumstümpfen sehenswert. Der bestens ausgestattete Gemeinschaftsraum „Prinzenkeller“ beeindruckte ebenso wie das in einem normalerweise ungenutzten Luftraum über der Tiefgaragen-Abfahrt untergebrachte Kinderkino im Gebäude einer Baugemeinschaft.
Nach einer Einkehr mit Brezen und Weißwürsten im multifunktionalen Quartierscafé ging es mittags weiter zum Domagkpark, einer in den 2010er Jahren entstandenen, 24 ha großen Wohnanlage in Nordschwabing mit rund 4000 Bewohnern. Beim Bau dieses Viertels im stark verkehrsbelasteten Münchener Norden hatte die Stadt die Vorlage eines Mobilitätskonzepts vorgeschrieben. Oberirdische Parkplätze gibt es im Domagkpark nicht. Die Gäste aus Tittmoning ließen sich erklären, welche Maßnahmen hier dazu führen, dass der Umstieg von motorisiertem Individualverkehr auf ÖPNV und Fahrrad glückt. Anwohnerin Maria Knorre demonstrierte an der Mobilitätsstation im Gebäude der mehrfach preisgekrönten genossenschaftlichen Dachorganisation WOGENO, wie die erste Münchener Sharing-Station für elektrisch betriebene Fahrräder, Roller und Lastenräder funktioniert, die übrigens mit Strom aus der eigenen PV-Anlage auf dem Dach betrieben wird. Sie führte die Gruppe auch in eine der gut geplanten Fahrradgaragen, die kostengünstig und benutzerfreundlich errichtet wurde. „Wichtig ist natürlich der Fahrradservice ums Eck“, wies sie auf einen Laden hin und verschwieg auch nicht, dass die Kosten des Fahrradverleihs sich aus den Benutzergebühren nicht decken lassen: „Da braucht man Zuschüsse oder einen Sponsor“ – in ihrem Fall fördere die Stadt München.
Für einen Blick in die Wohnanlage mit architektonisch spektakulären Bauten von „wagnisArt“ und „WOGENO“ blieb nur wenig Zeit. Die Tittmoninger spazierten noch am großen zentralen Park entlang zum Wohngebäude einer Baugemeinschaft, wo sie das gemeinschaftlich genutzte Gästeappartment besichtigten, dann stand der Ackermannbogen auf dem Programm.
Bäume und Gewächshaus auf dem Dach
Zwischen Schwabing und Olympiagelände wurde hier bereits vor der Jahrtausendwende damit begonnen, vier Quartiere mit ganz unterschiedlichen Wohnformen zu entwickeln – barrierefrei und mit „genialer Infrastruktur“, so Christine Leis von der Wohnbaugenossenschaft „wagnis“. Sie stellte den Besuchern das in Sachen Nachhaltigkeit etwa bei Bodennutzung und Energiekonzept vorbildliche Objekt „wagnis4“ vor. „Ein Großteil der versiegelten Fläche wurde der Natur zurückgegeben“, erklärte sie stolz, dafür sei es 2017 mit dem Deutschen Landschaftsarchitekturpreis ausgezeichnet worden.
Beeindruckend war nach dem Blick in den Innenhof mit Obstbaumwiese und Wasserlauf der Besuch des von Landschaftsarchitekt Rupert Wirzmüller geplanten Dachgartens. Er vereint Gartenfunktion und Energiegewinnung: Mit Blick aufs Olympiagelände wachsen in luftiger Höhe Ölweiden, neben gemütlichen „Gartenzimmern“, großem Gewächshaus, Blumen- und Gemüsebeeten ist auch noch Platz für eine Solaranlage, der Garten auf dem Dach bindet Regen im Boden. „Das Ganze ist partizipativ organisiert“, erklärte Leis, die Genossen würden schon vor dem Einzug an Entscheidungsprozessen beteiligt und erbrächten Arbeitsstunden für die Pflege der Anlagen.
Zuletzt durften die Gäste noch eine individuelle Eigentumswohnung, den Gemeinschaftsraum und den praktischen großen Fahrradkeller in einer großen Wohnanlage besichtigen, die mehrere Baugemeinschaften unter der Leitung von H2R am Ackermannbogen entwickelt haben. Nach einer Kaffeepause im ebenfalls von „wagnis“ erbauten Café Rigoletto schloss ein Spaziergang durch Abschnitt 2 des Ackermannbogens mit zwei- bis dreigeschossigen Atriumhäusern die Besichtigungstour ab, und man machte sich auf den Heimweg – erfüllt von bleibenden Eindrücken und vielerlei Ideen für zukunftsfähiges Bauen.
Auch wenn Größe, Infrastruktur und andere Rahmenbedingungen der Münchner Quartiere natürlich mit denen in Tittmoning nicht zu vergleichen sind: Von gemeinschaftlich genutzten Gäste-Appartements und Fahrradgarage über begrünte Dächer bis hin zu architektonischen Details und Organisationsformen beim Bauen nahm die Tittmoninger Delegation unzählige Anregungen mit nach Hause.
Bürgermeister Bratzdrum zeigte sich auf dem Heimweg mehr als zufrieden mit der Exkursion: „Es war für unsere weitere Arbeit sehr gut, dass wir uns gemeinsam vor Ort ein Bild gemacht haben. Die zahlreichen Eindrücke und Anregungen werden wir zwar nicht eins zu eins umsetzen, aber in der Grundidee in unsere weiteren Planungen einfließen lassen.“